Ein kurzer Ausschnitt aus dem Leben von L., welcher fast 4 Monate im Widerstandsdorf Lützerath am Braunkohletagebau Garzweiler lebte.
7:38 Uhr an einen frostigen Januarmorgen 2021, am Fenster der Stelzenhütte, wo ich noch in meinem flauschigen Schlafsack liege, sind Eiskristalle zu erkennen. Zum Glück haben wir das Haus vor zwei Wochen mit Stroh gedämmt, denke ich, während ich mich langsam aus der Hütte robbe. Auf der kleinen, wackeligen Veranda ziehe ich meine matschigen Schuhe an und klettere vorsichtig die Leiter hinunter. Im Camp ist es gerade sehr ruhig, doch ich genieße es. Knisternd durch den gefrorenen Schlamm laufend komme ich am Küchenzelt an und beginne, in einem riesigen metallischen Topf Wasser zu kochen für frischen Ingwertee. Nachdem ich das gutriechende Zimtporridge zubereitet habe und die ersten Menschen weiter das Frühstück vorbereiten, nehme ich mir einen Tee und setzte mich auf den Wall Richtung Sonnenaufgang. Hinter dem Wall befindet sich schon das Betriebsgelände von RWE und nicht viel weiter der Abgrund, der Abgrund in ein Loch, eine triste Einöde, welches mich jeden Tag zur neuen Trauer und Wut bringt. Doch der sich zwischen den Dampfschwaden der weit entfernten Kohlekraftwerke befindliche, tiefrote Sonnenaufgang lässt mich staunen. Absurde Realität.
Beim Plenum der Küche für Alle besprechen wir jeden Morgen Aufgaben, welche erledigt werden müssen, wer was kocht oder wer die Schnippelkoordination übernimmt. Doch hier wird auch ein Raum eröffnet, um darüber zu sprechen, wie es einem geht. Mich beschäftigt an diesem Tag besonders das Gefühl der Hilflosigkeit gegenüber der dystopischen Kohlebagger. Manchmal hoffe ich, dass dies alles nur ein böser Traum ist. Doch durch die Hoffnung und das Einfühlungsvermögen meiner Freund:innen bekomme ich wieder Mut. Denn politisch aktiv zu sein, heißt auch, auf sich aufzupassen, solidarisch zu sein und sich gegenseitig zu unterstützen.
Nachmittags schnipple und wasche ich mit vier anderen Menschen das Gemüse für das Abendessen. Wir hören zunächst gut gelaunt ein paar Lieder, bis wir uns später erzählen, aus welchen Kontexten oder Motivationen wir alle nach Lützerath gekommen sind, und über die Zukunft der Bewegung diskutieren. Am Ende sind wir alle der Meinung, dass wir zusammenkommen müssen, dass wir von unten und links Widerstand leisten müssen und nicht auf Regierungen oder Gerichte hoffen oder vertrauen können.
Nachdem sich abends noch eine Gruppe bereit erklärt hat zu spülen und wir alles aufgeräumt haben, beginnen wir, uns um eine rostige Metalltonne zu setzten und Feuer zu machen. Sternenklar und eiskalt ist der Abend. Deswegen ist die Wärme des Feuers sehr angenehm. Zum Glück gibt es Menschen, welche sich um Feuerholz gekümmert haben, sagen wir einstimmig. Der Abend endet Gitarre spielend und singend, bis die Finger zu kalt sind, um noch weiter zu spielen.
Das Knistern des Lagerfeuers vergeht, Zeltplanen rascheln und Reißverschlüsse schließen sich, dann schwillt das Grummeln und ungleichmäßige Rattern des Baggers in der Dunkelheit wieder an. Es ist immer da, kommt mit dem Wind und wird von ihm verweht. Wie der Traum der Utopie eines schönen Lebens für alle! Der Glaube und die Hoffnung daran lassen uns als Gemeinschaft, als Bewegung, als Menschen dafür kämpfen, dass Lützerath bleibt!
Schwarz
brennen, beben, fluten
rennen, überleben, bluten
Glutrot glimmt der Himmel hinter dem Kohlebagger
wir sitzen am Rande vom Acker,
werfen lange Schatten auf die Hängematten, Hütten und Baumhäuser hinter uns.
“Zerstörungkannauchschönaussehen“,
eine absurd bittere Wahrheit in der Abendsonne.
Alle haben wir ähnlich gedacht, keiner hat gelacht,
stattdessen starren wütende Augen in die Ferne: nah ist die Gefahr.
Wenn die Sonne in die Grube fällt, wird Lützi´s Zeit
schwarz.
– Mio